Bereits mit Einführung der privaten Fernsehsender in den neunziger Jahren beobachteten Kritiker:innen eine Entwicklung, wonach sich eine gesamtdeutsche Öffentlichkeit auflöse, die gemeinsam ein Medienereignis erlebte, wie es bspw. bei der Ausstrahlung von Francis Durbridge-Krimis („Straßenfeger“) oder die Sendung „Wetten dass“ noch der Fall gewesen war.
Heute wird oft behauptet, dass sich diese Fragmentierung von Öffentlichkeit massiv beschleunige – und dass neue Medien, insbesondere soziale Netzwerke und Messenger, diese Entwicklung antreiben. Unter kontroversen Begriffen wie ‚Echokammer‘, ‚Filterblase‘ und ‚Homophilie‘ wird davon gesprochen, dass die Kommunikation im Internet esoterischer und radikaler werde. Neue populistische Bewegungen machen sich demnach die völlig neuen Reichweiten von Facebook, Twitter oder Instagram zunutze.
Der öffentliche Diskurs verliert demgegenüber an Bindungskraft: das Vertrauen in Journalismus, Staat und auch Wissenschaft sinkt. Wie es zurückgewonnen werden kann, ist eines der Themen dieses Podiums. Diskutiert wird teils auch ein Entwicklungsbedarf für gesetzliche Regelungen, insofern diese immer noch von der Fiktion einer gemeinsamen, gesamtgesellschaftlichen Öffentlichkeit ausgehen.
- Lisa Merten, Leibniz-Institut für Medienforschung/Hans-Bredow-Institut, Forschung zu Nachrichtennutzung in sozialen Medien, Hamburg
- Dr. Leonard Novy, Institut für Medien- und Informationspolitik, Köln
- Prof. Dr. Marlis Prinzing, Freie Journalistin, Moderatorin und Forscherin, Professorin an der Hochschule Macromedia, Köln.
- Prof. Dr. Stephan Packard, Medienkulturwissenschaftler an der Universität zu Köln, Forschung zu Propaganda, Überwachung und Zensur, Köln
- Aycha Riffi, Leiterin Grimme-Akademie, Marl
Die Moderation übernimmt Dr. Michael Köhler. Raumbedingt können können für diese Veranstaltung keine Zuschauer*innen zugelassen werden. Gesendet wird der Mitschnitt am 19. Dez., um 18.04 auf WDR 3. Im Nachgang ist der Mitschnitt hier verfügbar.
Statements:
Dr. Leonard Novy, Institut für Medien- und Informationspolitik, Köln:
Die Vorstellung einer ‚zerfallenden‘ Öffentlichkeit ist nicht neu. Einführung und Verbreitung von Medientechnologien, neuer Technologien allgemein, gingen stets einher mit Bedenken und Abwehrreflexen. Debatten über die Fragmentierung der Medienlandschaft, Verflachung und die vermeintliche Erosion der Integrationskraft der Medien gab es beispielsweise bereits Ende der 1980er, zur Einführung des Privatfernsehens. Schon damals war die ‚eine‘ Öffentlichkeit ein Mythos, ein Chiffre für eine Vielzahl von Teilöffentlichkeiten, die in der zweiten Hälfte 20. Jahrhundert durch die Massenmedien besser zusammengehalten, aber nicht unbedingt repräsentativ, proportional und fair abgebildet wurden. Das Konzept der Öffentlichkeit ist aber auch ein normatives, es markiert ein Ideal, einen Anspruch, den es einzulösen oder dem es sich anzunähern gilt. Denn eine Gesellschaft, der die gemeinsame Wissensbasis abhanden kommt – und die Fähigkeit, sich darüber zu verständigen – hat ein Problem. Gerade in Anbetracht der „Plattformisierung“ von Öffentlichkeit braucht es einen starken, unabhängigen Journalismus, der Vielfalt abbildet und Verbindendes herstellt. Fragen wie der nach der Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der Medienförderung und der Stärkung des gemeinwohlorientierten, nicht kommerziellen Journalismus wird hier eine zentrale Rolle zuteil. Und die Macht der Plattformen muss konsequent eingehegt werden. Hier gilt: Regulierung ist nicht alles, aber ohne Regulierung ist alles nichts. Die Zukunft unserer Medienordnung muss gesellschaftlich verhandelt und strategisch durch die Medienpolitik vorangetrieben werden. Dabei helfen weder Technik-Euphorie noch Kulturpessimismus. Es geht um nichts Geringeres als um Daseinsvorsorge für die Demokratie.
Prof. Dr. Stephan Packard, Medienkulturwissenschaftler an der Universität zu Köln, Forschung zu Propaganda, Überwachung und Zensur, Köln:
Wer heute eine besondere, wenn auch nicht unbedingt einzigartige Fragmentierung der Öffentlichkeit diagnostizieren will, muss diese Beobachtung in mindestens zwei Hinsichten auf die bekannte Kritik am Ideal der bürgerlichen Öffentlichkeit beziehen: Ist der jetzt beobachtete Schwund qualitativ verschieden von den vielen Hinsichten, in denen das Ideal auch zuvor nicht erreicht wurde, weil aktiver und passiver Zugang zur Öffentlichkeit nie allgemein waren und die vermeintlich gewaltfreie Kommunikation nie nur Zwängen des besseren Arguments, sondern immer auch hegemonialen Machtverhältnissen unterworfen war? Und: Ist ein schwindendes Vertrauen in die bürgerliche Öffentlichkeit angesichts dieser Mängel nicht sogar wünschenswert?
Während die bekannten Mängel einer vermeintlichen bürgerlichen Öffentlichkeit die politische Wirkung und deshalb auch die Bindungskraft ihres unvollkommenen Statthalters voraussetzen, scheint mir die aktuelle Fragmentierung in der Schwächung dieser Bindungskraft zu gründen. Auch zuvor sollten wir nicht alles glauben, was in der Zeitung und in der Tagesschau behauptet wurde; aber wir meinten noch, dass über dessen Wahrheit wieder in Zeitungen und in der Tagesschau gestritten würde, dass dort die Prüfung und Wiederlegung am ehesten Gehör fände. Gerade deshalb war es bedrohlich zu sehen, wenn dies nicht stattfand. Auch zuvor sahen sich Gemeinschaften in Teil- und Gegenöffentlichkeiten von der einen bürgerlichen ausgeschlossen; Abhilfe versprach aber gerade das Eindringen in diese privilegierte Sphäre. Gerade deshalb wurde diese Teilhabe so dringend gefordert. Das scheint mir heute immer weniger der Fall zu sein.
Ist zu wünschen, dass eine neue Öffentlichkeit wieder an Bindungskraft gewänne? Wäre das nicht wieder eine bloße Illusion? Um diese Frage zu beantworten, müssten wir sagen können, ob die Illusion der demokratischen Öffentlichkeit selbst nicht für den Fortbestand des demokratischen Zusammenhalts unserer Gesellschaft nötig ist. Darauf weiß ich die Antwort nicht, aber die Frage ist drängend. Bislang jedenfalls scheinen die Alternativen nicht egalitärer und emanzipierend, sondern umso normativer und exklusiver auszufallen.
Finanziert wird das Projekt Fragmentierte Öffentlichkeit durch das Grimme-Forschungskolleg an der Universität zu Köln, zum Teil unterstützt durch Mittel von
- der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln;
- der Initiative Medienapokalypsen: Hoffnungen und Ängste zum medialen Wandel am Institut für Medienkultur & Theater;
- dem Institut für Digital Humanities;
- dem Zentrum für LehrerInnenbildung;
- der Grimme-Akademie.
Ein weiterer Kooperationspartner ist WDR 3, WDR 3 ist Kulturpartner der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln.