Workshop

Medienbildung in der postdigitalen Gesellschaft

In diesem Workshop geht es um spezifische Herausforderungen für die Medienbildung in der postdigitalen Gesellschaft - resultierend etwa aus der Verlagerung (politischer) Debatten junger Zielgruppen aus den öffentlich zugänglichen Bereichen des Netzes in geschlossene Gruppen und anderem mehr. Darüber hinaus steht die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen pädagogischen Handelns angesichts gesellschaftlicher und politischer Prozesse, Strukturen und Dynamiken im Fokus.

  • Prof. Dr. Nadia Kutscher, Professorin für Erziehungshilfe und Soziale Arbeit der Universität zu Köln, Mitglied des Expert_innenkreises für Kinderrechte in der digitalen Welt zur Beratung des General Comment des UN-Kinderrechtsausschusses in Deutschland
  • Dr. Georg Materna, JFF - Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis, München
  • Gerda Sieben, Leiterin jfc Medienzentrum, Köln

Moderation: Aycha Riffi und Lars Gräßer, beide Grimme-Institut

Statements

Dr. Georg Materna, JFF - Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis, München:

Waren es über Jahrhunderte vor allem Massenmedien, die Reichweite herstellen konnten, führt die Mediatisierung von Begegnungs- und Versammlungsöffentlichkeiten zu einer bisher nicht dagewesen Pluralisierung gesellschaftspolitischer Diskursräume. Die politische Öffentlichkeit wird dadurch in ihrer Herstellung weniger hierarchisch und gleichzeitig dynamischer, unbestimmbarer und konflikthafter. Das Paradox dieser Pluralisierung besteht darin, dass sie einerseits Teilhabe fördert: marginalisierte Anliegen werden zunehmend wahrgenommen. Und anderseits die politische Öffentlichkeit krisenhafter und polarisierter wird, weil mehr Interessengruppen miteinander in Konflikt geraten. In Anlehnung an El-Mafaalanis „Integrationsparadox“ könnte man vom „Pluralisierungsparadox“ sprechen: Mehr Teilhabe an Öffentlichkeit führt zu mehr gesellschaftspolitischen Konflikten. Eine meiner Thesen ist deswegen, dass nicht die Zunahme an Konflikten das primäre Problem ist, sondern die bisher größtenteils fehlenden Mechanismen zu ihrer öffentlichen Aushandlung. Verständigungsorientierung und Kompromissbereitschaft in konflikthaften und polarisierten pluralistischen Öffentlichkeiten herzustellen, das gehört zu den Herausforderungen der Gegenwart.

Prof. Dr. Nadia Kutscher, Professorin für Erziehungshilfe und Soziale Arbeit der Universität zu Köln:

Bildung kann per se nur das Subjekt adressieren. Das gerät an seine Grenzen angesichts der Befähigungs- bzw. Steuerungserfordernisse angesichts globaler Datenggregationskonzerne und der Notwendigkeit, Daten zu schützen. Auch strukturelle (digitale) Ungleichheiten können  nicht allein über „Medienbildung“ bewältigt werden. Letzteres würde bedeuten, strukturelle Macht- und Ungleichheitsverhältnisse und deren Bearbeitung zu individualisieren (was nicht funktioniert). Bildung als Autonomiebefähigung gerät hier an ihre Grenze, auch politische Bildung (die dann eben auch nur „Aufklärung“ bedeutet, aber keine Veränderung der Verhältnisse). Es geht um a) Anbieter-Inpflichtnahme, b) linking social capiltal im Sinne der Übernahme einer (begleitenden oder auch stellvertretenden) politischen Funktion der Pädagog*innen und anderer Akteur*innen und c) um eine postdigitale Perspektive, die nicht nur so reflektiert sondern die Dimensionen postdigitaler Reflexion auch im Handeln adressiert.