Statt bewährt in der Evangelischen Akademie in Frankfurt am Main fand der Medientreff erstmals als Online-Konferenz statt. Viele Möglichkeiten zum Austauschen und Netzwerken sind geblieben.
Vielleicht passte es sogar ganz gut zum diesjährigen RadioNetzwerkTag, dass die Veranstaltung – wie fast jede in den letzten Monaten – online stattfinden musste. Schließlich ging es ja darum, das „Radio der Zukunft“ zu diskutieren, und das neue Format harmonierte mit den Inhalten: Digitale Verbreitungswege für Audioprodukte, Radio(-Comedy) für Social Media sowie der veränderte Arbeitsalltag in Zeiten von Corona waren nur einige der Themen, die am 3. Dezember auf dem Programm standen. In zwei Vortragsrunden und fünf Workshops konnten Newcomer und erfahrene Radiomacher*innen miteinander ins Gespräch kommen. Gemeinsam wurde die wachsende Beliebtheit des Radios während der Pandemie besprochen und Strategien diskutiert, das älteste Nebenbei-Medium der Welt für die Zukunft fit zu machen.
Über 170 Radiojournalist*innen aus allen Teilen Deutschlands nahmen am vierten RadioNetzwerkTag teil, der wieder von der Grimme-Akademie, der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien, der Landesanstalt für Kommunikation Baden Württemberg, der Medienanstalt Rheinland-Pfalz und der Evangelischen Hörfunkschule Frankfurt gemeinsam ausgerichtet wurde. Aycha Riffi, Leiterin der Grimme-Akademie, moderierte die Veranstaltung.
Das Radio als (Krisen-)Gewinner?
Die Direktoren der beteiligten Landesmedienanstalten meldeten sich in persönlichen Videobotschaften zu Wort. „Das Radio hat in diesem Jahr einmal mehr gezeigt, dass es systemrelevant ist“, sagte Joachim Becker, Direktor der Medienanstalt Hessen. Daher sei es wichtig, die Branche zu unterstützen – zum einen finanziell, durch Veranstaltungen wie den RadioNetzwerkTag aber auch ideell. „Ein starkes Netzwerk aus gut ausgebildeten Journalisten ist der Grundstein für eine starke Radiobranche“, ergänzte Dr. Wolfgang Kreißig, Präsident der LFK Baden-Württemberg. Und Dr. Marc Jan Eumann, Direktor der LMK Rheinland-Pfalz, gratulierte zur Berufswahl Journalismus und betonte die große Verantwortung der Medienmacher*innen: „Sie unterscheiden Fakten und Desinformationen und helfen uns so, hektische Zeiten zu navigieren.“
Wie hört sich das Radio der Zukunft an?
Ergänzend zur digitalen Premiere erhielt der RadioNetzwerkTag in diesem Jahr auch einen zweiten Hashtag – neben #RTN2020 hatten unter dem Schlagwort #darumradio Moderator*innen, Redakteur*innen und Radiofans schon vor der Veranstaltung zusammengefasst, was ihr Medium so besonders macht. 1-Live-Moderatorin Tina Middendorf verband ihre Keynote zur Eröffnung gleich mit einer Antwort auf diese Frage: „Das Wichtigste am Radio sind wir, also die Menschen“, erklärte sie. „Der Faktor Mensch ist der Defibrillator, der das Radio lebendig hält – in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.“ Was Hörer*innen beim Radio suchten, könnten sie in Spotify-Listen und bei digitalen Sprachassistenten nämlich nicht finden: Zwischenmenschlichkeit. „Leider habe ich das Gefühl, dass wir diesen Faktor manchmal aus den Augen verlieren“, sagte Middendorf. Zu oft konzentrierten sich Verantwortliche bei den Sendern auf das Marketing – die „Kekspackung“, wie die Moderatorin es nannte – statt auf den „Radiomensch als Kernstück jedes Senders“. „Am Ende will der Hörer und die Hörerin einen Menschen spüren“, erklärte sie. Schließlich sei das Radio als Nebenbei-Medium auch deswegen so beliebt, weil es uns das Gefühl vermittle, nicht allein zu sein.
Im anschließenden Gespräch wurde insbesondere der Marketing-Aspekt weiter diskutiert. Klassische Hörer*innen-Aktionen, wie sie jeder Radiosender durchführt, wurden von Middendorf als Teil der „Kekspackung“ kritisiert; Sender füllten oft zu viel Sendezeit mit den immer gleichen Gewinnspielen. „Gerade in Zeiten wie diesen sind es aber eben diese Aktionen, die uns Geld in die Kasse spülen“, berichtete ein Teilnehmer. Als privater Sender sei man Zwängen ausgesetzt, um die eigenen Mitarbeiter überhaupt bezahlen zu können – auch wenn man gerne mehr Zeit in Inhalte und eine persönliche Note investieren würde.
Austausch unter Kolleg*innen – die digitalen Workshops
Zu Problemen und Chancen während der Corona-Pandemie konnten sich Ausbilder*innen und Führungskräfte anschließend in kleiner Runde weiter austauschen. Der Workshop von André Fritz (Radio K.W.) richtete sich nämlich ganz an diese Zielgruppe. Im Gespräch unter Kolleg*innen ging es um den Umgang mit der überfrachteten (Corona-) Nachrichtenlage und Erfahrungen mit hybriden Arbeitsmodellen zwischen Redaktion und Home Office. Dabei stellte sich heraus, dass von Sender zu Sender unterschiedlich mit der Pandemie umgegangen wurde – während die einen gleich im Frühjahr langfristig überlegten und Technik für das Arbeiten von Zuhause aufrüsteten, wollen die anderen ihren Mitarbeiter*innen beim Arbeitsort eine Wahl lassen. Insgesamt werde aktuell aber mehr Zeit auf Kommunikation mit dem Team verwendet, da waren sich alle einig. Auch werde viel Aufmerksamkeit auf die Bindung zu den Hörer*innen gelegt – durch Einbindung ins Programm, etwa über Musikwünsche, oder durch neue Formate. Als Beispiel wurden hier etwa Kindernachrichten genannt, die während der Schulschließungen im Frühjahr Input für junge Hörer*innen bieten sollten.
Auch für Nachwuchs-Journalist*innen gab es ein eigenes Angebot. Das Seminar von Andreas Fauth (Hörfunkschule Frankfurt) mit dem Titel „Keine Angst vor der Freiheit – Traumjob Journalismus und die Zeit nach dem Volo“ ist mittlerweile schon ein Klassiker unter den RNT-Workshops und jedes Jahr bei den Teilnehmer*innen beliebt. Auch diesmal zeigte Fauth Wege auf, an eines der begehrten Volontariate zu gelangen, und gab Tipps dazu, wie man sich schon während der journalistischen Ausbildung auf den späteren Arbeitsmarkt vorbereitet. Soll ich mich um eine Festanstellung bemühen oder mein Glück als freie*r Journalist*in versuchen? „Man muss natürlich seinen eigenen Typ kennen – aber ich persönlich rate immer dazu, die eigene Weiterentwicklung zu fokussieren und die Sicherheit nachrangig zu betrachten.“ Ein wichtiger Faktor, um auch nach dem Volontariat genügend Auftraggeber*innen zu haben, sei das Netzwerken während der Ausbildung. Dabei könnten gerade externe Hospitanzen sehr wertvoll sein, um das eigene Profil zu schärfen und andere Arbeitgeber*innen kennenzulernen.
Die weiteren Workshops beim RadioNetzwerkTag waren weniger zielgruppen- und mehr themenfokussiert. So ging es bei Journalistin Nora Hespers (u.a. Deutschlandfunk Nova) um die Frage, wie ein fertiges Stück den Weg zu den Hörer*innen macht. „Ihr dürft nicht darauf hoffen, gefunden zu werden“, sagte sie und besprach Methoden, die eigene Arbeit sichtbar zu machen. Zwischen dem guten alten Newsletter und dem Aufbau einer eigenen Community in den sozialen Netzwerken brachten auch die Teilnehmer*innen Erfahrungen mit ein. Der Community-Aufbau sei mühsam, aber lohnend, erzählte Hespers, die sich selbst über mehrere Jahre hinweg online als Bloggerin und Podcasterin etabliert hat. Eine langsam wachsende Community sei dabei in der Regel besonders nachhaltig und treu.
Um die Community On Air ging es in der Workshop-Runde mit Sarah Mibus. Eine Stunde lang widmete sich die Formatberaterin dem Thema Musikmoderationen. Anhand verschiedener Hörbeispiele wurden Strategien erarbeitet, durch die Musikmoderationen die Hörer*innen binden und das Profil des Senders schärfen. Oberste Regel dabei: „Die Musik braucht Raum“, erklärte Mibus. Die Moderation müsse zum Format passen und grundsätzlich einen Kernpunkt vermitteln. In einer einzigen Moderation zu viel zu wollen, überlade dagegen die Hörer*innen. Anhand der Hörbeispiele versuchten sich die Teilnehmer*innen gleich an Moderationsideen mit diesen Kernelementen: Beispiele dafür waren etwa neue Fakten zum Lied oder zur Band, eine Verknüpfung zwischen dem Song und der Region oder zwischen dem Song und dem aktuellen Lebens- beziehungsweise Tagesgefühl. „Letztlich ist Musik immer ein Lebensgefühl“, erklärte die Referentin. „Das wollen wir auch vermitteln.“
Währenddessen widmete sich Jochen Voß (next step next crossmedia) in seiner Session der humorvollen Seite des Radios. Wie klingt lustig im Jahr 2021 und wie lassen sich mit Humor die Hörer*innen nicht nur unterhalten, sondern vielleicht auch über mehrere Kanäle und Plattformen begleiten? Darüber gab der Workshop einen detaillierten Überblick. Ein wichtiger Aspekt für Planer*innen in den Redaktionen sei heute die Adaption von Inhalten für mehrere Ausspielwege, erklärte der Comedy-Experte. „Das bedeutet, dass man eine Sendung schon integriert denken sollte – und nicht erst hinterher überlegen, wie ich Elemente der Sendung auch im Netz verwenden kann.“ Ein Blick auf aktuelle Comedy zeige aber, dass Social Media immer noch oft als Add-On zum eigentlichen Programm verstanden und entsprechend hintenangestellt werde. Auch seien die Formatrahmen für Audio-Comedy oft noch zu eng gesteckt. Für Voß ist dagegen klar: „Gute Comedy entsteht auch durch glückliche Zufälle!“ Wo ein Sender Raum, Zeit und experimentierfreudige Mitarbeiter*innen zusammenbringe, könne er diesen glücklichen Zufall wahrscheinlicher machen.
Auszeichnung für hervorragende Volontariate – das Radiosiegel 2020
Ebenfalls ins Netz verlagert, wurde die Verleihung des Radiosiegels für eine besonders hochwertige Ausbildung im Privatradio. „Kriterien sind unter anderem eine crossmediale Ausbildung mit detailliertem Ausbildungsplan, eine Einführung in ethische und rechtliche Standards und eine angemessene Vergütung“, erklärte Jurymitglied Jörg Bollmann, Direktor des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik. Für den Preis können Volontär*innen ihre Arbeitgeber*innen vorschlagen, ausgezeichnet wurden in diesem Jahr 28 Privatsender.
Wir gratulieren allen Preisträger*innen!
Die Siegelträger*innen konnten sich in diesem Jahr in einer Videobotschaft präsentieren.
One for the road: Warum Radio noch nie so wichtig war
Als Jury-Vorsitzende des Deutschen Radiopreises hört Nadia Zaboura jedes Jahr hunderte Stunden Radio. Und sie erlebe derzeit eine Aufbruchsstimmung, ausgelöst durch neue Akteur*innen in der Szene, berichtete sie in ihrem Vortag zum Ausklang des Tages. Engagierte junge Radiomacher*innen seien wichtig, denn: „Das Radio steht im Jahr 2020 vor vier großen Herausforderungen.“ Dazu zählte Zaboura, einen hohen Bedarf an Informationen, das Bedürfnis nach Nähe, das Bedürfnis nach Teilhabe und als besondere Herausforderung der sich die Radioanbieter stellen müssen, die verbalen und physischen Angriffe auf Journalist*innen mit dem Ziel der Verunsicherung.
Auf diese Herausforderungen, sagte Zaboura, biete das Radio selbst die beste Antwort. „Radio kann Inhalte. Radio kann auditive Nähe. Radio kann Partizipation und gesellschaftlichen Zusammenhalt.“ Den vielen jungen Radiomacher*innen bei der Veranstaltung gab sie mit: „Seid mutig und zieht das Medium mit in eine neue Radiozukunft.“ Vor Machtgefällen und Konflikten dürften sich Journalist*innen nicht scheuen, sondern müssten für ihr Publikum eintreten.
Der fünfte RadioNetzwerkTag findet am 2. Dezember 2021 in Frankfurt statt.
Text: Rabea Gruber